Universität Erlangen
Geographisches Institut
SS 1993
Proseminar:
Regionale Agrargeographie
Referat:
Chancen und Probleme der Agrarkolonisation im Amazonas
Dozent: Prof. H. Kopp
Verfasser: Andreas Nagl
© Copyright 1993: Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil der Arbeit darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung 3
A. Der Fluß Amazonas 3
B. Das Amazonastiefland 3
C. Weitere Definitionen des Begriffs Amazonas 4
II. Der Naturraum Amazonas 4
III. Die Erschließung Amazoniens 5
IV. Agrarkolonisation-Staatliche Programme bis 1980 6
A. Das PIN Programm 7
B. Das Polamazonia-Programm 8
C. Die Konflikte der Siedler 9
V. Polonoroeste - Ein neues Konzept ab 1981 10
VI. Hat die Agrarkolonisation eine Chance ? 11
VII. Schlußbetrachtungen 12
VIII. Anhang mit Tabellen und Abbildungen 13
IX. Literaturverzeichnis 20
I. Einleitung
Fällt das Wort Amazonas, so verbindet damit jeder unberührte Natur genauso wie die Zerstörung des Regenwaldes, Klimaveränderungen und viele andere negative Dinge. Jede Minute, Tag und Nacht, wird in Amazonien Regenwald in der Größe eines Fußballfeldes vernichtet. Experten wie Gerd Kohlhepp fürchten, daß bis Ende der neunziger Jahre in weiten Teilen Amazoniens mehr als die Hälfte des Regenwaldes zerstört sein wird.
Hierfür gibt es eine Vielzahl von Gründen und von Verantwortlichen. Man sollte jedoch nicht vergessen, daß jeder einzelne von uns mitschuldig ist, wenn er z.B. Fleisch aus dieser Gegend ißt. (Fast Food)
Ein Faktor für die Zerstörung der tropischen Regenwälder ist die Agrarkolonisation. Sie soll das Thema dieser Arbeit sein. Doch zunächst einige Definitionen zum Begriff Amazonas.
A. Der Fluß Amazonas
Amazonas ist der größte Strom Südamerikas und der wasserreichste der Erde. Er entsteht durch die Vereinigung des Rio Maranon und des Rio Ucayali bei Nauta in NE-Peru, durchfließt das nach ihm benannte Tiefland und mündet schließlich in den Atlantik. Von der brasilianischen Grenze bis zur Einmündung des Rio Negro wird er Rio Solimoes genannt. Sein Einzugsgebiet umfaßt 7.18 Mill.km2 (entspricht 40% der Fläche Südamerikas), seine Länge beträgt 6400 km. Bis Obidos, 800 km oberhalb der Mündung, machen sich die Gezeiten bemerkbar. Die Breite (bei Iquitos 1800 m) erreicht in der Mündung 250 km. 15 der über 200 Nebenflüsse sind zwischen 2000 und 3000 km lang. Seeschiffe von 3000 t können bis Iquitos gelangen. An den Flußauen ist der Boden fruchtbar und wird teilweise landwirtschaftlich genutzt.
B. Das Amazonastiefland
Es umfaßt eine Fläche von 3.6 Mill.km2 (entspricht 20% Südamerikas), an der Brasilien einen Anteil von zwei Dritteln hat. Die Oriente-Regionen der Andenländer Peru, Bolivien, Kolumbien und Ecuador teilen sich in dieser Reihenfolge das restliche Drittel. Als größtes tropisches Regenwaldgebiet der Erde bedeckt Amazonien mit mehr als 5 Mill.km2 eine weit größere Fläche als die des unter 200 m über NN. liegenden zentralen Beckens. Die Regenwaldregion erstreckt sich weit über die benachbarten Großlandschaften hinaus und bedeckt vor allem die nördliche Abdachung des zentralbrasilianischen Berg- und Tafellandes im Süden, sowie Teile des Guayana-Massivs, des guyanischen Küstenlandes und des Orinoco-Beckens im Norden. Der brasilianische Anteil am Regenwald beträgt 75%.
C. Weitere Definitionen des Begriffs Amazonas
- Bundesstaat in Nordbrasilien mit Hauptstadt Manaus (1564445 km2; 1,08 Mill. Einwohner1975; etwa 98% der Fläche ist trop. Regenwald)
- Verwaltungsgebiet in Süd-Ost-Kolumbien (121240 km2; 18000 Einwohner1972)
- Department in Nordperu (41297 km2; 197000 Einwohner1971)
- Bundesterritorium in Südvenezuela ( 175750 km2; 22000 Einwohner1971)
Im weiteren soll unter dem Begriff Amazonas das Amazonastiefland verstanden werden, zusätzlich beschränkt sich die Agrarkolonisation meist auf den brasilianischen Teil davon. Projekte in Ländern wie Kolumbien und Ecuador laufen nach ähnlichem Schema ab. Einige grundlegende Merkmale dieses Gebietes möchte ich nun aufzeigen, da diese für den Erfolg oder Mißerfolg von Agrarkolonisationsprojekten eine entscheidende Rolle spielen.
II. Der Naturraum Amazonas
Das Amazonasgebiet ist durch ein innertropisches Tieflandklima mit Jahresmitteltemperaturen von 25-27°C gekennzeichnet. (Maximaltemperaturen selten mehr als 35°C) Die Tagestemperaturschwankungen können mehr als 10°C betragen (Tageszeitenklima), die Jahrestemperaturschwankungen liegen bei etwa 2°C. Die Niederschläge dieser immerfeuchten Region haben Werte von über 3600 mm/a im Nordwesten, sinken nach Osten hin am Unterlauf bei Obidos auf unter 1800 mm/a ab und steigen im Mündungsgebiet wieder auf 2500 mm/a an. Die Niederschläge fallen meist als kurze Starkregen in Wärmegewittern von etwa einer Stunde am Nachmittag und als Zenitalregen mit enorm großen Wassermassen. Die Luftfeuchtigkeit ist ganzjährig sehr hoch.
Die Tierwelt ist sehr artenreich, noch existieren viele Fischarten, Kaimane, Tapire, Schmetterlinge, Affen, Baumschlangen, Leguane, Pumas, Kolibris und v.a..
Die Urbevölkerung (Indianer) leben heute stark isoliert und in viele Stämme aufgesplittert. Neben Jagd- und Sammelwirtschaft betreiben sie Brandrodungsfeldbau (Maniok, Bataten, Mais, Bananen).
Die Vegetation Amazoniens, auch als "Grüne Hölle" bezeichnet, ist gewöhnlich in drei Baumstockwerke gegliedert, die über 50 m Höhe erreichen. Sie ist durch eine ungeheure Artenvielfalt bei geringer Individuenzahl pro Flächeninhalt gekennzeichnet. Es gibt Pflanzen mit Brett- und Stelzwurzeln sowie Lianen und Epiphyten, in den Altwassern Schilfwiesen, Schwimm- und Sumpfpflanzen. Die ungeheure Biomasse (600 t pro Hektar) führte zum zentralen Problem der Landwirtschaft von Amazonien. Man schloß von der gewaltigen Biomasse auf eine gute Bodenfruchtbarkeit, was völlig falsch ist. Der Nährstoffkreislauf bezieht den sauren Rotlehmboden, der weder Nährstoffe enthält noch speichern kann, nicht mit ein. Die Biomasse selbst beinhaltet und verarbeitet die Nährstoffe (Mycorrhizae). Die landwirtschaftliche Nutzung gestaltet sich daher als äußerst schwierig, doch die ständig wachsende Bevölkerung bedingt eine Agrarnutzung der Regenwälder.
III. Die Erschließung Amazoniens
Mit der Entdeckung und Inbesitznahme durch die Spanier und Portugiesen begann die Erschließung und damit verbunden die Besiedlung Amazoniens. Militärische Stützpunkte an Grenzlinien und zahlreiche katholische Missionen bildeten im 17.Jh die ersten Siedlungen. Als man den milchig-weißen Saft des Havea-Baumes zur Gummiherstellung entdeckte, erlebte diese Region den ersten bedeutenden Wirtschaftszyklus. Kautschukzapfer (serinueiros) drangen im Jahre 1870 bis Rio Purus und Rio Jurua vor. Die Einführung der Dampfschiffahrt lies Gesellschaften entstehen. Und schließlich kam es mit der Entwicklung des Gummireifens 1890 zum Kautschukboom. 1840 wurden 388 t, im Jahre 1900 bereits 27650 t Kautschuk produziert. Händler stritten sich um Land und Konzessionen. Bis 1910 kamen über eine halbe Millionen Arbeiter aus dem Nordosten (Nordestinos) ins Südwestliche Amazonasgebiet, wo sie in permanenter Abhängigkeit von den Händlern lebten und leben. Auch wenn 1915 die Kautschukwirtschaft in Amazonien zusammenbrach, entstanden in dieser Zeit viele Siedlungen vor allem an schiffbaren Wasserläufen. Manaus und Belem stiegen von Handelszentren zu Regionalzentren auf und wurden zum Anlaufpunkt außländischer Interessen. Bis auf wenige Gebiete war das Amazonastiefland jedoch so gut wie unerschlossen. Neue Siedlungen entstanden nur durch Gold- und Diamantsucher oder durch das von den Nordestinos getragene Vorrücken der "fronteira" nach Maranahao (Pionierfront). Erst im 20.Jh. sollte sich durch staatlich gelenkte Agrarkolonisation ein weiteres Netz von Siedlungen entwickeln.
IV. Agrarkolonisation-Staatliche Programme bis 1980
Mit dem Vorrücken der "fronteira" nach dem Motto "Let's go west" erhoffte sich der Staat die Inwertsetzung von natürlichen Ressourcen und eine Entspannung des Bevölkerungsdrucks. Auch wegen des außenpolitischen Druck entschloß sich die Regierung zu Sofortmaßnahmen.
Eine dieser Maßnahmen, der Ausbau der Infrastruktur, war wohl die Grundvoraussetzung für alle weiteren Projekte, die die brasilianische Regierung in Angriff nahm, um diese Region zu erschließen.
Bisher war Verkehr nur auf den Wasserstraßen möglich, in den 70er Jahren wurde dann ein riesiges Straßenbauprogramm an wichtigen Leitlinien gestartet.
Ost-West-Achsen:
Transamazonika: 5600 km lang
Perimentral Norte: Bau in 70er Jahren gestoppt
Cuiaba-Porto Velho (364): 1456 km; Asphaltierung 1984 abgeschlossen; Leitlinie zu Agrarkolonisationsprojekten in Rondonia
Süd-Nord-Achsen:
Brasilia-Belem: 2010 km; Asphaltierung 1973
Cuiaba-Santarem: 1780 km
Porto Velho- Manaus: 901 km; asphaltiert
Manaus-Boa Vista: 950 km
Die Vorteile dieser Maßnahme sind, daß sie staatliche und private Projekte erst möglich machten. Doch bei den hohen Kosten muß man auch die Nachteile betrachten. Der Lebensraum der Indianer wurde stark eingeengt, dazu kommt das sich bei Kontakten mit Straßenbaukolonnen viele Krankheiten eingeschleppt haben. Auch drangen nun völlig unkontrolliert Landsuchende aus den verschiedensten Regionen in die Regenwälder ein. Vor allem aber behielt die Schiffahrt ihre große Bedeutung bei, da die meisten Straßen nicht asphaltiert sind und so für Lkw's (vor allem in der Regenzeit) unpassierbar sind. Hinzu kommt, daß der Flugverkehr in starken Maße zunimmt.
Um die Infrastruktur auszubauen und die Regionalentwicklung voranzutreiben, hat man in den letzten Jahren auch viele Wasserkraftwerke gebaut, die jedoch nur der Industrie zugute kommen.
Nach dem Straßenbau versuchte die Regierung den Regenwald zu besiedeln und Kolonien einzurichten. Da das Vorrücken der landwirtschaftlichen "frontier" nicht nur die natürlichen Ressourcen mit den dazugehörigen globalen Folgen, sondern auch den Lebensraum der Indianer bedroht, ist die kleinbäuerliche Erschließung auch von internationalem Interesse.
Viele glauben jedoch, daß die zahlreichen Programme der Regierung nur ein Versuch ist, um von der längst überfälligen Agrarreform abzulenken.
A. Das PIN Programm
Mit dem "Programm der Nationalen Integration" versuchte die staatliche Behörde für Kolonisation und Agrarreform (INCRA ) Kleinbauern, Halbpächter und landlose Landarbeiter aus dem dürregeplagten Nordosten an den großen Fernstraßen anzusiedeln. Hauptregion war zunächst ein 64000 km2 großer Streifen an der Transamazonika. Dieser gliedert sich dann in einzelne Bereiche auf.
In einen 10 km breiten Streifen beiderseits der Straße für landwirtschaftliche Familienbetriebe von etwa 100 ha (Breitstreifenflur) Betriebsgröße, von der etwa 50% Waldreserve bleiben müssen. (Kleinbesitz)
Dahinter, bis zu einer Entfernung von 100 km zur Straße, wurde das Land für Mittelbetriebe bis 3000 ha reserviert. Auch hier galt die 50 % Klausel.
In einem Abstand von mehr als 100 km zur Straße konnten sich private Großprojekte der Rinderzucht und Forstwirtschaft bis 50000 ha niederlassen. Die Genehmigung dieser Projekte wird von SUDAM erteilt, wobei ebenfalls 50% Waldreserve bleiben müssen.
Bei der Siedlungsform einigte man sich auf ein System von Mittelpunktssiedlungen, daß nach zentralen Funktionen abgestuft war. Man entwickelte ein Modell mit einer dreistufigen Hierarchie von zentralen Orten:
Agrovila
Zentraler Ort unterster Stufe mit einfachsten Grundausstattungen, wie Elektrizität, fließendes Wasser und sanitären Installationen. Sie soll dörflichen Charakter haben und im Endstadium etwa 100-300 Familien beinhalten. Außer einer Grundschule sollen Krankenstation, Kaufladen, ökumenische Kapelle, Sozialzentrum, Kneipe und einfache Sportanlagen eingerichtet werden.
Agropolis
Sie sollen Verwaltungszentren bilden und für ca. 300-600 Familien ausgelegt sein. In Planung standen Einrichtungen aus den verschiedensten Sektoren: Vermessungsbüro, Post- und Telegrafenstation, Polizei, Sekundarschule, soziale Einrichtungen, Ärzte, Apotheke, verschiedene Geschäfte und Betriebe zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Es muß vielleicht erwähnt werden, daß dies alles nur geplant war, aber bis heute nur ansatzweise verwirklicht wurde.
Ruropolis
Als Regionalzentrum für ca. 20000 Einwohner geplant. Es sollte alle wichtigen zentralen Einrichtungen besitzen: Gymnasium, Bibliothek, Kino, Bank, Spezialgeschäfte und vieles mehr.
Ursprünglich plante man 1 Millionen Familien anzusiedeln, doch bereits 1975 war es nur noch ein Bruchteil davon, die tatsächlich siedelten, und es wanderten weiterhin zahlreiche Siedler wieder ab.
Viele Siedler, die in Agrovolis wohnten, mußten bis zu 15 km täglich zurücklegen, um auf ihre Parzellen zu gelangen, so daß sie sich gleich auf den Parzellen in kleinen Bambushütten niederließen. Es gab viele weitere Gründe, die das PIN-Programm scheitern ließen. Ich möchte stichpunktartig die wichtigsten nennen.
- keine landwirtschaftlichen Kenntnisse der Kolonisten
- keine permanente Beratung durch Agronome
- Fehleinschätzung der Bodenfruchtbarkeit
- ungeeignetes Saatgut
- fehlendes Vermarktungssystem
- Tropenkrankheiten
Seit den 70er Jahren verlagerte sich die staatliche kleinbäuerliche Kolonisation ganz auf Rondonia, da dort die Bodenverhältnisse günstiger sind. Aber auch hier erreicht man nicht die geplanten Ziele. Die Bevölkerung in Rondonia wächst mit einer Rate von 15,8% jährlich viel zu schnell, ohne daß die Infrastruktur dafür ausgelegt gewesen wäre.
Ab 1970 kann man die neu entstehenden Siedlungen in drei Gruppen zusammenfassen.
- Integrierte Kolonisationsprojekte (PIC)
- Projekte mit gelenkter Ansiedlung (PAC)
- Ansiedlung spontaner Kolonisten
Erst Anfang der 80er Jahre leitet die Regierung mit dem Polonoroeste-Programm neue Schritte in der Agrarkolonisation ein. Doch zunächst verfolgt der Staat eine andere Strategie.
B. Das Polamazonia-Programm
Nachdem das PIN-Programm gescheitert war, versuchte man ab 1974 die Entwicklung Amazoniens mit Hilfe von steuerbegünstigten Großbetrieben. Industrie, Berbauunternehmen und das privatwirtschaftliche Agrobusiness hatten nun Vorrang. Trotz der Wirtschaftskrise Brasiliens entwickelten sich fast 300 Betriebe, die etwa 50000 Menschen Arbeit bieten. Manaus als Freihandelszone stand als Entwicklungspol an erster Stelle.
Dies bringt zusätzliche Probleme für die Siedler.
C. Die Konflikte der Siedler
Zahlreiche Rinderfarmen, die oft von außländischen Kapitalanlegern wie Volkswagen gegründet werden, breiten sich aus. Außerdem entstehen große Bergbauunternehmen, die die Rohstoffe (nicht nur Erze, sondern auch Holz) Amazoniens systematisch abbauen. Diese beiden Aktivitäten muß man wohl zu denen rechnen, die Regenwälder am meisten zerstören. Bei der Agrarkolonisation dagegen, geht es um das Leben vieler Menschen, die sich ihre Existenz sichern wollen. Oft kommt es zu Landkonflikten zwischen neuen Großgrundbesitzern und alten Siedlern, wobei natürlich der Schwächere unterliegt. Die Städte platzen aus allen Nähten, so dringen in jüngster Zeit landsuchende Siedler in scheinbar ungenutzte Waldgebiete vor und beginnen dort mit der Anlage von Brandrodungen den Anbau von Grundnahrungsmittel, wobei natürlich auch Waldreserven nicht ungeschadet bleiben. Dort werden sie dann meist von Großgrundbesitzern, ob legale oder illegale Landeigentümer, mit Waffengewalt vertrieben. Auch staatliche Stellen sind mitschuldig an den Landkonflikten. So wurde im Staat Mato Grosso 40% mehr Land verkauft, als dieser Staat überhaupt Grundfläche besitzt. Neben diesen direkten Verdrängungen von kleinen Siedlern gibt es auch indirekte Verdrängungsprozesse. Erfolglosen Kolonisten mit Bargeldbedarf sehen sich oft gezwungen Teile oder das gesamte Land billig zu verkaufen, weil sie mit zu vielen Problemen zu kämpfen haben. Dies führt zur starken Mobilität und zu Landkonzentration.
Um mit diesen regionalen Problemen fertig zu werden, entwickelte man wieder ein Programm.
V. Polonoroeste - Ein neues Konzept ab 1981
Im Jahre 1981 wird mit dem "Programa Integrado de Desenvolvimento do Noroeste do Brasil" ein neues Entwicklungskonzept für ein Teilgebiet (410000 km2) der Planungsregion "Amazonia legal" verabschiedet. Es beinhaltet den jetzigen Bundesstaat Rondonia und einige Munizipien des nordwestlichen Mato Grosso. Man konzentriert sich wieder, wie im PIN-Programm, auf kleinbäuerliche Betriebe im ländlichen Bereich. Leitziel von Polonoroeste ist der Abbau von interregionalen Disparitäten, indem man Bevölkerungsgruppen aus einer wirtschaftlich schwachen Situation neu ansiedelt. Die immensen Kosten (ca. 1.55 Mrd. US-Dollar) werden zu einem Drittel von der Weltbank getragen. Die Koordination übernimmt die Behörde zur Entwicklung des Mittelwesten (SUDECO).
Wieder beginnt man zuerst mit der Straßenverkehrserschließung, die bereits 42% der Finanzmittel schluckt. Zum einen asphaltiert man einen 1450 km langen Abschnitt der zentralen Achse Cuiaba-Porto Velho (Bundesstraße 364), zum anderen baut man ein Netz von kleinen ländlichen Erschließungsstraßen. Mit etwa 10% der Gelder versucht man den ländlichen Raum in den Gesamtkomplex mit zu integrieren. Man verfolgt dabei die "basic needs strategy", d.h. die Grundbedürfnisse der Unterschicht sollen befriedigt werden. Dabei werden sogenannte "Kommissionen zur ländlichen Entwicklung" (CDR) gegründet, deren Aufgaben die Organisation der Selbsthilfe bei Bau und Instandhaltung der Erschließungsstraßen, die Diskussion und Formulierung der Grundbedürfnisse und die Vertretung der Bevölkerung gegenüber staatlichen Organen sind. Man ist nicht mehr nur wachstumsorientiert, auch soll erstmals die Indianische Bevölkerung und der Umweltschutz mit berücksichtigt werden.
Bis Juli 1985 wurden in den 3,2 Mill. ha umfassenden Kolonisationsprojekten 44000 Familien angesiedelt. Der Mangel an siedlungswilligen Arbeitern und Bauern war also kein Problem. Diese wurden im Zuge der Modernisierung und Kapitalisierung der Landwirtschaft oft verdrängt. Auch Maßnahmen der "Grünen Revolution" und Programme wie das Pro-Alkohol-Projekt (Expansion des großbetrieblichen Zuckerrohranbaus zur Produktion von Äthylalkohol als Benzinersatz) machten viele Menschen arbeits- und landlos. Die daraufhin folgende ungebremste Zuwanderung stellt für die Agrarkolonisation ein großes Problem dar. Es gibt einen enorm hohen Landbedarf, aber nur ein beschränktes Landangebot. Der Bevölkerungsdruck auf Gebiete die andere Funktionen erfüllen sollten (z.B. Waldreserve, Indianerreservate) nimmt gewaltig zu. Die Waldrodung nimmt stark zu. Schnell wachsende Städte an den Hauptstraßen werden heute als Wartesaal der landsuchenden Bevölkerung bezeichnet. Dies obwohl die Chancen der Siedler als nicht besonders gut zu werten sind. Sie haben mit den schon erwähnten Konflikten zu kämpfen und sind oft gezwungen ihr Land an Spekulanten zu verkaufen. Oft kaufen Neusiedler eine zu kleine Parzelle, die dann eine längerfristige Existenz nicht ermöglicht. Oder aber man kommt als "agregado" auf ein Landstück von Freunden oder Verwandten und bietet seine Arbeitskraft an.
Die hohe Mobilität, die dann nach kurzer Zeit an der Siedlungsgrenze auftritt, hat viele Gründe.
Nach einer schlechten Ernte oder wegen den niedrigen Preisen für Agrarprodukte muß oft der Betrieb aufgegeben werden. Die Preise und die Art der Anbauprodukte ist abhängig von den Zwischenhändlern. Wegen der schwierigen Lebensbedingungen sind die Siedler resigniert und wandern entweder in eine junge städtische Siedlung, wo sie meist keine Arbeit finden, oder sie wenden sich neuen Pionierfronten zu und der ganze Vorgang wiederholt sich.
VI. Hat die Agrarkolonisation eine Chance ?
Will man die Agrarkolonisation insgesamt bewerten, muß man sagen, daß das Grundkonzept - die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft - ohne Zweifel richtig ist. Nur sind die Details der Planung fehlerlos umzusetzen und an den Bildungsstand der Betroffenen anzupassen. Wichtig ist auch, daß die Erfahrungen der vergangenen Jahre und die heutige Kenntnis über den Naturraum Amazonas in Zukunft mit einbezogen werden.
Zusammenfassend hängt der Erfolg von Agrarkolonisationsprojekten von der Art der Lösung folgender Problembereiche ab.
Infrastruktur:
Die ländlichen Versorgungszentren müssen funktionsfähig ausgestattet sein. Das Straßen- und Wegesystem muß in einem einwandfreien Zustand sein und zwar vor Beginn der Ansiedlung.
Medizinische Versorgung:
Vor allem Malaria muß wegen der hohen Verbreitungsraten stark bekämpft werden, um die Siedler vor Arbeitsausfall und den sehr hohen Arzt- und Arzneikosten zu schützen, die häufig Ursache für den Landverkauf darstellen.
Landtitel-Regelung:
Die Eigentumsansprüche der Siedler müssen gesichert sein, damit sie Zugang zu Krediten haben und Landspekulation verhindert wird.
Agrarberatung:
Praktische Kenntnisse der Anwendung von angepaßten Landnutzungssystemen sollten vermittelt werden. Auch sollte ein Genossenschaftswesen aufgebaut werden, um die Abhängigkeit von den Zwischenhändlern zu verringern und Agrarprodukte besser zu vermarkten.
Konsolidierung und Koordination:
Eine sozioökonomische Konsolidierung der Entwicklung in den älteren Siedlungsgebieten ist erforderlich. Zugleich müssen die sektorialen, regionalen und funktionalen Maßnahmen bei Neuansiedlungen besser koordiniert werden und auf eine soziale Stabilität ausgerichtet sein.
Indianerreservate:
Das Existenzrecht der Indianer muß gesichert werden, auch um Konflikte der Siedler mit Indianern zu vermeiden.
Waldreserven:
Es ist eine ökologische Notwendigkeit Block-Waldreserven einzurichten und zu respektieren, dabei darf die Ausführung nicht mehr dem Einzelbetrieb überlassen werden.
Doch selbst wenn diese Punkte einmal beachtet werden, so bleibt immer noch die riesige Flut von Zuwanderern in diese Region, die die Sicherung größerer Regenwaldgebiete wohl unmöglich machen.
Die wichtigste Aufgabe für den Brasilianischen Staat bleibt eine umfassende Agrarreform, um die Probleme in den traditionellen Siedlungsgebieten zu beseitigen. Denn nur so verringert man die hohe Zuwanderung und macht eine Agrarkolonisation im Amazonasgebiet möglich. Denn das Amazonastiefland eignet sich aufgrund seiner natürlichen Gegebenheiten nicht für eine kleinbäuerliche Massenkolonisation.
VII. Schlußbetrachtungen
In Zukunft muß das Hauptproblem, die längst überfällige Agrarreform, gelöst werden und zugleich muß sich die Agrarplanung im Amazonastiefland auf finanziell und räumlich begrenzte zielgruppenorientierte Kleinprojekte konzentrieren. Diese müssen durch angepaßte Technologien (geeignete landwirtschaftliche Betriessysteme) für das natürliche Potential geeignet sein. Dabei sollte die Agroforstwirtschaft und die Nutzung der Varzea-Flächen besonders gefördert werden. Amazonien kann weder die Funktion einer "Kornkammer", noch die eines "Ventils" für den ländlichen und städtischen Bevölkerungsdruck anderer Regionen übernehmen.
Wichtig dabei ist, daß nicht nur die nationale Planung, sondern auch die internationalen Finanzierungsorganisationen und die außländische Entwicklungshilfe sich damit befassen müssen. Denn gerade wir in den europäischen Ländern mit unserem egoistischem Konsumverhalten sind es, die die Länder des Amazonasgebietes in Abhängigkeiten verstricken und somit in eine Schuldenspirale treiben. Deshalb sind diese Staaten oftmals gezwungen, eine Region wegen kurzfristiger Gewinne zu opfern. Für das Ökosystem mit dem größtem Arten- und Genbestand der Erde und für den Lebensraum schutzbedürftiger Indianer kann man nur hoffen, daß die Zerstörung der Regenwälder mit den damit verbundenen globalen Folgen endlich die Weltöffentlichkeit und die verantwortlichen Regierungen aufschreckt und zum Handeln bewegt, bevor es zu spät ist.
VIII. Anhang mit Tabellen und Abbildungen
nur in der Druckfassung
IX. Literaturverzeichnis
Informationen zur Politischen Bildung, 1.Quartal 1990, Nr.226: LATEINAMERIKA, Franzis Verlag, München
Kohlhepp, Gerd: AMAZONIEN - Regionalentwicklung im Spannungsfeld ökonomischer Interessen sowie sozialer und ökologischer Notwendigkeiten. Aulis Verlag Deubner. Köln 1987. (Problemräume der Welt Band 8)
Kohlhepp, Gerd: ERSCHLIEßUNG UND WIRTSCHAFTLICHE INWERTSETZUNG AMAZONIENS, in Geographische Rundschau, Jg 1978, Heft 1, Westermann Schulbuch Verlag
Kohlhepp, Gerd: HERAUSFORDERUNG VON WISSENSCHAFT UND REGIONALER ENTWICKLUNGSPOLITIK. ÜBERLEGUNGEN ZUR ZUKÜNFTIGEN ENTWICKLUNG AMAZONIENS. In Tübinger Geographische Studien, Heft 93 (1987), Tübingen, Seite 303-318
Kohlhepp, Gerd: PLANUNG UND HEUTIGE SITUATION STAATLICHER KLEINBÄUERLICHER KOLONISATIONSPROJEKTE AN DER TRANSAMAZONIKA. In Geographische Zeitschrift, Jg. 64, Heft 3 (1976), Franz Steiner Verlag, Wiesbaden, Seite 171-209
Thome, Klaus: MEYERS GROSSES TASCHENBUCHLEXIKON in 24 Bänden. B.I.-Taschenbuchverlag. Mannheim / Wien / Zürich 19872
© Copyright 1993: Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil der Arbeit darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.